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G8 – Deformieren statt reformieren

G8 oder G9?

Jeder kennt wohl diese Themen, die garantiert für Stimmung sorgen. Nicht unbedingt im positiven Sinne, aber immerhin kommt Leben in die Bude. Bei Eltern von Schulkindern zum Beispiel bietet sich hierfür ganz hervorragend das Thema G8 oder G9 an. Also die Frage danach, ob der Nachwuchs acht Jahre Gymnasial-Bildung genießen sollte, bevor er das Abitur ablegt oder doch eher neun Jahre, wie es in den sogenannten alten Bundesländern von 1949 bis 2003 konsequent üblich war.

Aktuell herrscht hierzu bundesweit große Uneinigkeit, es wäre noch nicht mal übertrieben, von Chaos zu sprechen. Da gibt es Bundesländer, in denen nach der vierjährigen Grundschule acht Jahre bis zum Abitur üblich sind, in anderen wird das Wissen für das Abitur in neun Gymnasial-Jahren vermittelt und dann gibt es natürlich auch noch die Bundesländer, wo Eltern und Schüler zwischen beiden Varianten wählen können. Klingt verwirrend? Ist es auch!

Wer fragt schon die Betroffenen?

Nun haben wir, zumindest im alten Teil der Bundesrepublik ziemlich lange und ohne größere Probleme das neunjährige System praktiziert. Und wenn man mich gefragt hätte, hätte ich es auch einfach dabei belassen. Nun fragt aber bei solchen Entscheidungen niemand mich. Und auch andere Eltern – oder gar Schüler – sind an der Entstehung von größeren Reformen nur bedingt beteiligt. Stattdessen sind es oft politische, wirtschaftliche und/oder überhaupt nicht nachvollziehbare Gründe, die dazu führen, dass Schulsysteme regelmäßig über den Haufen geworfen werden.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin durchaus ein Freund von positiven Veränderungen, von Modernisierungen und davon, verkrustete Strukturen zu überdenken und aufzuweichen. Aber es wäre schön, wirklich sinnvolle Gründe für Reformen zu haben und noch schöner wäre es, die Sache so umzusetzen, dass hinterher nicht ständig wieder Reformen von der Reform nötig werden.

Gute Gründe für G8?

Doch werfen wir zunächst mal einen Blick auf die Gründe, die 2003 zur Einführung des Abiturs in acht Jahren führten:

  • Im Vergleich zu europäischen Mitbewerbern, stiegen deutsche Studenten traditionell vergleichsweise spät ins Berufsleben ein und seien zu alt, weil sie 13 Jahre zur Schule gingen. G8 sollte das ändern.
  • Wenn junge Menschen kürzer zur Schule gehen, stehen sie dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung und können so schneller und länger in die leeren Rentenkassen einzahlen.

Warum eine ganze Schulform deformieren?

Äh, ja. Ich muss sagen, so richtig vom Hocker hauen mich diese Argumente jetzt nicht wirklich. Denn meine Erfahrung sagt mir, dass eine gewisse Reife im Arbeitsleben oder auch im Studium durchaus ihre Vorteile haben kann. Vielleicht gab es Gründe dafür, dass das Abitur früher Reifeprüfung, und nicht etwa Grünschnabel-Abschluss genannt wurde. Das Altersargument zieht also in meinen Augen schon mal nicht. Und eine ganze Schulform zu reformieren – oder sollte es in diesem Fall lieber deformieren heißen? – damit wir das Problem der demographischen Entwicklung etwas eleganter lösen – nein, da bin ich nicht dabei.

Wenn es schon immer weniger junge Menschen in einer Gesellschaft gibt, sollten wir doch lieber auf die Qualität ihrer Ausbildung setzen, statt sie im Schnellverfahren ins Berufsleben zu schleusen.

Ein paar Worte zur Umsetzung

Schon aufgrund der mangelhaften Argumente für G8, hätte ich also die Finger davon gelassen.

Nun gibt es aber (Bundes-)Länder, in denen funktioniert es tatsächlich ganz hervorragend, dass die Schüler nach 12 Jahren ihr Abitur ablegen. Zum Beispiel Sachsen und Thüringen. Schüler, Lehrer und Eltern aus diesen Bundesländern mögen ihr System so wie es ist, und auch das Niveau der Abiturienten lässt offensichtlich nicht zu wünschen übrig. Schade nur, dass die Bundesländer, in denen erst 2003 auf G8 gewechselt wurde, sich bei der Umsetzung offensichtlich nicht wirklich an diesen Vorbildern orientiert haben.

Und so ist das Geschrei in weiten Teilen der Republik groß. Durch den Wegfall des einen Schuljahres sei der Druck auf die Schüler gewaltig, an Hobbies oder Familienleben sei kaum noch zu denken. Und auch die Gespräche, die ich mit Gymnasial-Lehrern geführt habe, als wir uns für eine weiterführende Schule entscheiden sollten, waren nicht wirklich erbaulich:

„Wir haben uns G8 auch nicht gewünscht.“

„Der Druck ist gewaltig, vor allem die Einführung der zweiten Fremdsprache in der sechsten Klasse bereitet vielen Kindern Probleme.“

Wenn ich solche Aussagen sogar von den Lehrern höre, muss ich doch sagen: da wähle ich lieber G9. Wenn ich denn die Wahl habe.

Nun ist es tatsächlich so, dass wir in der glücklichen Lage waren, die Wahl zu haben. Und deshalb besucht meine Tochter ab September eine hervorragende Gemeinschaftsschule mit gymnasialer Oberstufe in unserer Heimatstadt, an der sie das Abitur in neun Jahren ablegen kann. Dass wir die Wahl hatten, verdanken wir allerdings dem Los-Glück. Denn an besagter Gemeinschaftsschule, die früher eine Gesamtschule war, melden viel mehr Eltern ihre Kinder an, als Plätze vorhanden sind. Ich bin mir ganz sicher, dass das anders wäre, wenn auch die Gymnasien in der Umgebung G9 anbieten würden. Traurig eigentlich. Und ein ziemliches Armutszeugnis für G8.

Von Köchen, Ruderern und langweiligen Partys

Was ich allerdings noch deutlich schlimmer finde als G8, ist dass Bildung und Schule in Deutschland nicht bundesweit einheitlich geregelt sind. Jedes Bundesland kocht sein eigenes Bildungssüppchen, bei dem viele Köche ziemlich deutlich den Brei, bzw. die Suppe, verderben.

Ich bin mir relativ sicher, dass man auch das Abitur in zwölf Jahren so hätte einführen können, dass etwas Gutes dabei herausgekommen wäre. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Die ersten Bundesländer rudern gerade zurück zu G9, andere halten tapfer weiter am G8-Ruder fest. Und was passiert, wenn verschiedene Menschen in einem Boot in entgegengesetzte Richtungen rudern, kann jeder leicht am See seiner Wahl bei einem Familienausflug ausprobieren.

Wenn Sie sich also auf der nächsten Party ein bisschen langweilen, sprechen Sie das Thema ruhig mal an. Ich verspreche Ihnen: da lassen leidenschaftliche Diskussionen sicher nicht lange auf sich warten …

G8

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1 Kommentare

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    […] Für Nicole Strohschein liegt das Problem in der Uneinigkeit der Bundesländer zum Thema Gymnasialstufe. Machen die Schüler nach 12 oder nach 13 Jahren Schule ihr Abitur? Wie beeinflusst das ihre Bildung und was sind eigentlich die Gründe für dieses „Chaos“? Das erörtert die Autorin sehr eindrucksvoll auf „Das Elternhandbuch“. […]

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