Gastbeitrag von Corinna Stremme
Wenn ein Kind verstirbt, ist das für alle Beteiligten ein Schock. Für die betroffene Familie und alle, die sich in der unmittelbaren Nähe aufhalten. Für dich als direkt betroffener oder außenstehender empathischer Mensch stellt sich nun die Frage, wie verhalten bei einem Schicksalsschlag, der alle gleichermaßen sprachlos macht?
Statt in dauerhafte Schockstarre zu verfallen, lies hier, warum es für uns kaum auszuhalten ist, wenn ein Kind verstirbt und wie du gemeinsam mit deinem Kind aus der Sprachlosigkeit herauskommst.
Inhalt
Das Unfassbare anfassen
So mancher Leser, so manche Leserin kommt bis hierhin und reagiert mit sofortiger Wirkung mit Angst und Panik auf die Nachricht, ein Kind sei verstorben. Es schnürt dir den Hals zu, du magst das Gefühl nicht! Der ganze Tag ist „gefühlt“ dahin.
Nun hast du mehrere Möglichkeiten: Du scrollst weiter, lenkst dich vom Thema ab, gehst sogar in die Übersprungshandlung und räumst auf, statt weiterzulesen, weil dir spontan die Tränen in den Augen stehen.
Oder du tastest dich ein bisschen weiter und ich verspreche: Es tut nicht weh hinzusehen. Naja, vielleicht doch ehrlicherweise ein bisschen. Zu deiner Beruhigung: Dein Kind sitzt gesund und munter im Nebenzimmer oder wo auch immer. Gib dir einen Ruck! Du wolltest dich doch sowieso immer schon mit dem Sterben beschäftigen, weil es zum Leben dazugehört?!
„Aber doch nicht mit dem Sterben des eigenen Kindes!“ magst du antworten?
Kaum auszuhalten, der Gedanke, dass deinem oder meinem Kind etwas passiert.
Das Unaushaltbare aushalten
Wenn wir vom Schicksalsschlag einer anderen Familie hören, erinnern wir uns plastisch und wie im Flashback an den Tod der eigenen Omi oder des geliebten Hundes und wir könnten augenblicklich in Tränen ausbrechen. Wir sind zu Tränen gerührt, das Herz schmerzt, Bilder steigen auf, wir befürchten im schlimmsten Fall in einen Strudel zu geraten. Und da ist der Gedanke:
„Was, wenn es unser Kind trifft?“
„Nicht auszuhalten!“
Wenn andere ein Kind verlieren, werden wir mit der Endlichkeit unseres Lebens und dem jedes einzelnen Mitgliedes unserer Familie konfrontiert. Wir sind soziale Wesen und fühlen mit. Wir sind zum Beschützen unserer Nachfahren geboren und merken, wenn ein kleiner Mensch von uns geht, dass wir verletzlich sind und nicht in jedem Fall entscheiden können, welchen Weg das von uns in die Welt gebrachte Kind gehen wird und wann sein Weg auf Erden zu Ende ist.
Viele von uns sagen sich im Moment der Konfrontation: „Reiß dich zusammen“. Und im schlimmsten Fall merkt unser Kind, dass etwas nicht in Ordnung ist. Es fühlt, dass Mama traurig ist, dies aber überspielt. Hier geschieht eine Doppelbotschaft: Mama sagt, alles sei in Ordnung, das Kind spürt aber: Das Gegenteil ist der Fall. Es lernt im blödesten Rückschluss:
Tod muss etwas Schlimmes sein!
Die Trauerphasen mit dem Kind durchwandern
Wer von uns Eltern war noch nie sprachlos, wenn unser Kind existentielle Fragen stellt? Und wer hat noch nie stümperhaft oder beschwichtigend mit Sätzen geantwortet wie:
„Ja, Oma wird eines Tages sterben, aber sie ist ja noch total jung.“
Hinterher grübeln wir und sind unsicher, wie wir das nächste Mal reagieren sollen.
Wir wissen, dass Kinder bei solch einem Prozess der Trauer und des Schocks ehrliche Antworten brauchen!
Aber wie soll das gehen?
Wann sagt man zu viel, wann zu wenig?
Was, wenn die Kinder weinen?
Nimmt man das Kind zu Beerdigungen mit?
Das Unaussprechliche ansprechen
Schauen wir uns ein Beispiel an:
Mutter Anna (37) fühlt sich verantwortlich für ihre Kinder (5 und 7). Im Fall von Trauer und Schicksalsschlägen überfordert sie das, sie möchte ihre Kinder schnappen und reflexartig aus der Gefahrensituation bringen. Ihnen am liebsten die Ohren zuhalten, sie im Arm wiegen. Sie fühlt sich wie eine Löwin, die ihre Kinder vor einer großen Gefahr schützen muss.
Das fühlt sich albern an. Sie wird wütend auf den Post über Trauer, die Großtante, die immer vom Tod spricht, auf den Nachrichtensprecher, die Freundin, die findet, sie könnte die Tochter ruhig mit zur Beerdigung des Opas und vorher ins Krankenhaus nehmen, ohnmächtig, weil sie keine Worte hat, wenn ihr Sohn so selbstbewusst fragt, ob Opa dolle Schmerzen beim Sterben hatte und wütend auf sich selbst, weil sie schon so oft in Ruhe nachdenken wollte, was sie den Kindern sagt. Bei den Haustieren war das schon schwer, aber nun Opas Tod.
Das ist echt eine Nummer zu groß! Eine Mutter muss ihre Kinder doch schützen und schonen. Wie macht man das bei Themen wie Tod und Krieg? Der Widerspruch im Innen und Außen macht
Anna manchmal schier wahnsinnig. Anna reagiert über in Gesprächen mit Erwachsenen und ist überwältigt von der Vielzahl der Gefühle, dem Wirrwarr in ihr. Ohnmacht mag sie nicht, eine Mama muss handeln und immer wissen, was gut ist für die Kinder und ihr Instinkt sagt: Tod und Verlust sind keine Themen für Kinderohren. Gleichzeitig sieht sie, dass ihre Kinder gar nicht so ängstlich sind wie sie und das verunsichert noch mehr.
Sind die Kinder kompetenter als sie?
Kinder sind kompetente Trauernde
Anna bemerkt hier etwas Außergewöhnliches: Kinder sind schon als Säuglinge kompetent und in der Trauer durchleben sie (wenn wir sie mutig unterstützen) wie wir fünf Phasen:
- Leugnen
- Wut
- Verhandeln
- Traurigkeit
- Akzeptanz
Wir Menschen sind fähig, schwere Zeiten zu durchschreiten und Schicksalsschläge zu überwinden. Kinder dürfen mit uns Hand in Hand Höhen und Tiefen durchwandern. Weil wir alle dadurch stärker und resilienter werden und weil wir kompensieren und in verschiedenen Phasen uns aufhalten, um letztendlich das Unausweichliche zu akzeptieren:
Der andere ist nicht mehr da.
Körperlich jedenfalls nicht.
Der präsente erwachsene Trauerbegleiter
Kindern hilft es, wenn wir reden, die eigene Trauer zeigen und kreativ werden. Wir können malen, zeichnen, uns symbolisch verabschieden, falls wir es direkt nicht konnten und unsere Kinder fragen:
„Was hilft dir?“
Kinder sind oft besser als wir Erwachsenen in der Lage, einen Ausweg zu finden. Solange wir sie lassen und wertfrei zu- und hinhören.
Mit Kindern (das Trauern und Kondolieren) lernen
Es gibt nicht den goldenen richtigen Weg mit Kindern über Tod und Sterben oder andere Formen von Verlust zu reden.
Unserer Erfahrung nach gibt es aber ein paar Strategien, die helfen können mit dem Thema umzugehen:
- Du belastest dein Kind nicht, wenn du ihm Raum gibst, über Ängste und Krankheiten zu sprechen.
- Antworte ehrlich auf die Fragen, die dein Kind dir stellt.
- Nimm dein Kind ernst, wenn es sich Sorgen macht. Spiel seine Gefühle nicht herunter, jede/r fühlt, was er/sie fühlt. Lass Gesagtes im Raum stehen, auch wenn es schwerfällt.
- Kinder leben im Hier und Jetzt. Sie können traurig sein und danach wieder lachen. Das ist ein Geschenk. Begrenze dein Kind nicht in seinen Gefühlen und ermutige es dazu, zu lachen und zu weinen. Beides gehört zum (Über-)Leben dazu. Wir Erwachsenen können das von ihnen abgucken.
- Auch Wut ist eine Variante, um Trauer oder andere belastende Gefühle auszudrücken. So kann Türenknallen, laute Musik, etc. gerade bei älteren Kindern ein hervorragendes Ventil für Trauer oder Verlustangst sein. Versuche ruhig zu bleiben, auch wenn dies nicht immer leichtfällt und du deine Trauer im Gegensatz dazu eher still und leise lebst.
- Manchmal können kreative Angebote, ein Bild zu malen, eine eigene Erzählung zu schreiben oder Ähnliches den Zugang zu den Gefühlen erleichtern.
- Wenn dein Kind Ideen zum Kondolieren hat, erlaube auch Ungewöhnliches. Die trauernde Person wird die Unschuld und den guten Willen im Kind als Trost empfinden. Kinder folgen keinem Plan oder einer gesellschaftlichen Norm, sondern ihrem grundehrlichen Gefühl. Die Puppe, die es der verwaisten Mama schenkt, damit sie selbst ein Kind zum Versorgen trotz Fehlgeburt hat, ist für die Sternenmama eine Möglichkeit zu verarbeiten und Mitgefühl zu empfangen.
Mehr dazu in „Töffel und Bruno trauern auf ihre Art. 01Wie Kinder Verluste verwinden und dennoch bärig glücklich sind.*“ Ideen-Stifterei, Wrestedt 2022 (Stremme, Corinna). 17,90 Euro. Ein Trauer-Abenteuer über starke Gefühle mit Zusatzmaterialien für Eltern, Therapeuten und Pädagogen. Lesealter: 5–10 Jahre.
Dem Trauern etwas abgewinnen – wie soll das bitte gehen?
Wir alle sterben eines Tages und wir alle werden das Sterben von Angehörigen und Haustieren erleben. Wir können hoffen, dass es nicht morgen passiert, aber Endlichkeit ist Teil eines jeden Lebens.
Kinder und Erwachsene, die nichts tabuisieren und in Kontakt mit starken Gefühlen und mit sich selbst sind, werden im Fall eines Schicksalsschlages nicht gefeit sein vor Trauer, aber eine Vorstellung haben, wo und wohin die geliebte Person gegangen ist.
Und wir alle wissen, dass Trauer eine Variante von Liebe ist. Trauer endet nicht, sie kommt in Wellen und es mag von großem Trost sein zu wissen, dass unser Leben endet, die Erinnerung(en) der Menschen, die uns lieben, aber zu keiner Zeit.
Corinna bietet ein kostenloses Trauer-Handbuch auf ihrer Website zum Download – schaut gerne mal rein:
Die Autorin
Corinna Stremme ist sogenannte Hybrid-Autorin (Selfpublisherin und mit zwei Verlagen unterwegs) und leidenschaftliche Leserin. Zum Geschichtenerfinden kam sie, weil Schreiben für sie Lustgewinn und Ventil ist. Ihre ersten Texte waren Gedichte, dann ging es über Kurzgeschichten und Fachbücher zu Kindergeschichten, die erst nur für ihre eigenen Kinder gedacht waren.
Eins ihrer Kinder hat einen Pflegegrad. Im Laufe der Zeit wuchs die Idee in ihr, eine Brücke für alle Kinder zu schaffen, die noch häufig ausgegrenzt werden. Sie steht mit ihrem Verlag, der Ideen-Stifterei, mit ihren Texten für Diversität und Inklusion, für eine Gesellschaft, die achtsam mit sich und Kindern umgeht und hofft, dass Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen, in einer Welt leben und lesen, die vorurteilsfrei die Lebensrealität abbildet.
Sie lebt mit ihren drei Kindern, ihrem Mann, Hund und Katz auf Gran Canaria.
Kontakt:
- Website: ideen-stifterei.de
- Shop: ideen-Stifterei.com
- Mail: kontakt@ideen-stifterei.de
- Instagram: @ideenstifterei
- Facebook: @corinna.stremme
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