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Sportlehrer an der Grundschule – ein Bericht aus der Praxis

Spielen
Gastbeitrag von Christopher Goer

Ist denn Spielen überhaupt Unterricht?  …und wenn, ja, was bringt es dann konkret?

Im herkömmlichen Unterricht hält der Lehrer sich häufig an einen festen Lehrplan und zeigt den Kindern was zu tun ist.

Eine solche Herangehensweise entspricht jedoch meist nicht den Bewegungsbedürfnissen der Kinder, denn sie beleuchtet nur wenige Aspekte des hoch interessanten Unterrichtsfachs. Dabei wäre im Sport so viel mehr möglich!

Meine ersten Wochen an der Grundschule

Ich kam als Diplom-Sportlehrer mit großen Vorsätzen an die Grundschule. Ich war mir sicher den kleinen Kindern schon beibringen zu können wie die großen Spiele Basketball und Hockey funktionieren, wie man am Barren und an den Ringen turnt, wie man ihnen Leichtathletik vermittelt und wie man einen coolen Tanz einstudiert.

Nach drei Wochen war ich total frustriert: Ein  Drittel der Kinder machte begeistert mit, ein weiteres Drittel war sehr halbherzig dabei und eher schlecht gelaunt; die übrigen Kinder saßen auf der Bank mit den Ausreden:  „Ich habe Bauchschmerzen“, „mir tut der Fuß weh“, „mir ist heiß“ oder „das macht keinen Spaß!“

„Macht doch was ihr wollt!!“

In meinem Frust habe ich eines Tages die Geräteräume geöffnet und genervt in die Halle gerufen: „Ihr dürft machen was ihr wollt!“ Zum Glück fiel mir noch ein, dass ich ja für die Sicherheitsmaßnahmen zuständig bin. Also fügte ich noch schnell hinzu: „Ich sage euch gleich in welchen Bereichen der Halle welche Aktivitäten stattfinden dürfen und wie ihr aufeinander achtet damit euch nichts passiert!“.

Was in dieser Sportstunde passierte und sich über die nächsten Monate weiterhin entwickelte war für mich unfassbar! Die Kinder nutzen friedlich Bälle, Turngeräte, Rollbretter, das kleine Trampolin, die Musikanlage und vieles, vieles mehr.

Alle (!) Schüler/Innen waren begeistert, niemand saß mehr auf der Bank und es gab keine Ausreden mehr – wie weggeblasen – magic!!

Und die selbstorganisierten Inhalte waren so hoch kreativ, dass ich sie mir auf keinen Fall hätte selber ausdenken können.

Architekten, Meeresforscher, Fahrzeugbauer, mutige Springer, Zirkusakrobaten, Tänzer, Astronauten, Profifußballer und noch zig andere spannende „Persönlichkeiten“– alle zusammen in einer Turnhalle und das weitestgehend ohne Ärger und ohne Verletzte!!

Bob der Baumeister… – auch Unsportliche integrieren sich

Bob, in meinem Fall Paul, der unsportlichste Junge in der Klasse, dicke Brille, fettige Haare, Außenseiter und natürlich nie Sportzeug dabei, weil Sport ja eh bescheuert ist, übernahm plötzlich eine wichtige Aufgabe in der Klassengemeinschaft.

Wie kam es dazu?

Paul entdeckte für sich das kreative Bauen mit verschiedenen Geräten. Er begann für die Kinder der Klasse einen Hindernisparcours zu bauen. Dieser Parcours wurde  in vielen weiteren Stunden aus- und umgebaut und entwickelte sich zum Highlight des Sportunterrichts. Paul baute sich im wahrsten Sinne eine Brücke zu seinen Mitschülern, die es ihm ermöglichte neue Freundschaften zu schließen. Später hat er sich dann all seinen Mut zusammen genommen, um selbst den Parcours zu bewältigen.

Eines Tages bekam ich von der Mutter einen Brief mit der Frage: „Was für Sportsachen soll Paul denn jetzt  mitbringen? Sport ist jetzt eines seiner Lieblingsfächer.“ Besser geht´s doch nicht, oder?

Ist das Konzept denn wirklich zielführend?

Der renommierte Hirnforscher Gerald Hüther sagt, dass folgende drei Aspekte ein Kind glücklich machen:

  • Selbstorganisation und Selbstbestimmung, weil Kinder ihren Lebensraum nach eigenen Bedürfnissen und persönlichen Neigungen gestalten möchten.
  • Das Eingebundensein in der Gruppe, weil Spielen und Gestalten in Gemeinschaft das Gefühl der Zugehörigkeit entwickelt.
  • Entwicklung von Kompetenzen, weil das Kind für jede seiner Tätigkeiten Fähigkeiten benötigt. Diese selbst zu entwickeln schafft ein hohes Maß an Zufriedenheit; Und die Kompetenzen, die es sich selbst erarbeitet, bleiben überdauernd gespeichert.

Schaut man sich die Entwicklung von Kreativität an so kommt man um eine hoch interessante Studie nicht herum:

Im Laufe unseres Lebens nimmt die Fähigkeit ungewöhnlich zu denken – was Voraussetzung ist um Kreativität zu entwickeln –  dramatisch ab. Während ein 5-jähriges Kind diese Fähigkeit noch zu 98 % besitzt, so sind es bei den 10-jährigen noch 32 %, bei den 15-jährigen nur noch 10 %  und bei uns Erwachsenen gar nur noch 2 %.

Das spricht doch eindeutig dafür, dass wir unsere Kinder Tag für Tag darin unterstützen sollten diese Fähigkeit auf möglichst hohem Niveau zu erhalten! …und das, indem wir sie in ihrer eigenen kleinen Welt belassen, in der sie fröhlich und frei spielen dürfen.

Gänsehaut-Momente

Es ist nämlich wie mit einem Stück Holz. Je mehr man an ihm herumschnitzt, desto kleiner wird es. Lasst uns daher weniger schnitzen, sondern den Kindern mehr Raum für Wachstum geben!

Denn es gibt diese stimmigen Momente im Leben, da bekommst du Gänsehaut, weil in der Beziehung und im Miteinander alles passt. Das sind genau die Momente wo du Wachstum förmlich spüren kannst.

Daher bin ich überaus dankbar, dass ich diese Gänsehautmomente an der Grundschule häufig erleben durfte!

…und ich wünsche allen Kindern, Eltern und Lehrern das Glück eben diese einzigartigen Momente des Wachstums immer wieder erleben zu dürfen!

Der Autor

Christopher GoerChristopher Goer, Diplomsportlehrer in Köln, 20 Jahre Lehrer, zuerst an einer Hauptschule und die letzten drei Jahre an einer Grundschule.

Entwickler der Idee des Indoorspielplatzes – Mit dem Motto: Spiel ohne Grenzen! für Kinder von 5 bis 9 Jahren.

Er ist der Überzeugung, dass es das Grundrecht eines jeden Kindes ist, sich nach den individuelle Neigungen und Talenten bewegen zu dürfen. Und genau da setzt die Idee des Indoorspielplatzes an. In der frei gestaltbaren Turnhalle werden dem persönlichen Spiel keine Grenzen gesetzt, wodurch Freude, Glück und Wachstum enorm gefördert werden.

Mehr Infos unter www.15null.de

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