Irgendwann um den zweiten Geburtstag herum, manchmal auch ein wenig früher, ist es so weit: Aus heiterem Himmel sehen junge Eltern sich mit einem zornigen Wesen konfrontiert, dass sich kaum unter Kontrolle bringen lässt. Es ist ihr eigenes Kind.
War der kleine Engel gerade noch ganz friedlich, fliegen nun die Lego-Steine tief. Und das mit Gebrüll. Besonders expressive Temperamente werfen sich gleich hinterher.
Trotzphase heißt das im Alltag, „Autonomiephase“, wenn man pädagogisch korrekt formulieren möchte. Doch egal wie man es nennt – Trotzanfälle sind furchtbar anstrengend.
Die Ratschläge fremder Menschen lassen dann nicht lange auf sich warten, sie sind vielfältig, widersprechen sich teilweise gegenseitig und – wenn man sich gerade im Supermarkt aufhält – stehen die Chance gut, die ganze Bandbreite zu hören.
Trotzanfall-Management
Doch was ist derzeit die „hohe Schule“ des Trotzanfall-Managements? Gibt es so etwas wie einen Konsens unter den Experten?
Es gibt ihn: Nehmen Sie ihr Kind ernst – so gut es eben geht. Sollten Sie lachen müssen, dann bitte nur so, dass der Nachwuchs es nicht merkt. Nichts ist schlimmer als für seine Wut ausgelacht und in ihr nicht ernst genommen zu werden. Kennt vermutlich jeder aus Erfahrung.
Jenseits von „nicht auslachen“ scheiden sich allerdings die Geister.
Das, von der früheren Generation angepriesene, „links liegen lassen“ ist nur noch bedingt und in Notsituationen die Methode der Wahl. Niemand will in seiner Wut oder sonstigen Verzweiflung allein gelassen werden und Kleinkinder brauchen die Zuneigung ihrer Eltern.
Das Kind in seinem Trotzanfall stehen zu lassen, es nicht mehr zu beachten, manipuliert. Die Folge ist, dass das Kind sich in Zukunft den Wünschen der Eltern beugen wird, seine Emotionen, besonders die „negativen“ (unerwünschten) hinunterzuschlucken lernt und vielleicht den Rest seines Lebens den Zugang dazu verliert.
Die einzige Situation, in der es legitim ist, das Zimmer mit dem tobenden Trotzkopf zu verlassen ist, wenn man merkt, dass man selbst von Gefühlen überwältigt wird und kurz davor ist, die Kontrolle zu verlieren. Wenn das Kind einem in so einer Situation nachläuft ist es auch okay, sich im Bad einzusperren.
Denn alles ist besser als die Kontrolle zu verlieren und handgreiflich zu werden.
Selbst zu gehen ist aber immer noch besser als das Kind wegzuschicken. Auch hierfür sind die „erlaubten“ und „verbotenen“ Emotionen der Grund.
Authentisch bleiben
Bleiben sie auch in schwierigen Situationen authentisch. Authentizität steht auch beim renommierten Erziehungsberater und Kinderpsychologen Jesper Juul ganz weit oben auf der Prioritätenliste.
Heißt das, dass man schreien darf wenn man wütend wird? Nur bedingt.
Zurück schreien mag zwar authentisch sein, aber es hat auch falsche Vorbildwirkung. Sollte es doch einmal passieren, ist eine Entschuldigung danach unerlässlich. Sie können jederzeit sagen, dass sie die Nase voll haben, wenn es denn so ist. Gehen weil man die Nase voll hat? Schwierig. Siehe oben.
Schließlich sollten Sie dem Kind möglichst vermitteln, dass sie es selbst in seinem Trotzanfall noch gern haben und schwierige Situationen mit ihm durchstehen. Diese heftigen Emotionen sind schwierige Momente – nicht nur für Eltern und Passanten.
In der Praxis hat es sich bewährt, eine ruhige Ecke aufzusuchen und dort, auf die Uhr zu schauen. Auch die wildesten Trotzanfälle dauern selten länger als 30 Minuten (gefühlte Stunden). Es hilft sich daran zu erinnern, dass es bald wieder vorbei sein wird.
Weitere Infos zum Thema haben wir in diesem Artikel für Sie zusammengefasst: So kommen Sie sicher durch die Trotzphase
Lese-Tipp
Titel: Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist*
Inhalt: Aggression ist unerwünscht, in unserer Gesellschaft und besonders bei unseren Kindern. Aggressives Verhalten gilt als Tabu und wird diskriminiert. Was wir mit der Unterdrückung dieser legitimen Gefühle anrichten, wie wichtig es ist, diese zuzulassen und wie wir mit ihnen konkret umgehen können, zeigt der bekannte und erfolgreiche Familientherapeut Jesper Juul eindrucksvoll in seinem neuen Buch. Er plädiert für ein radikales Umdenken: Aggressionen sind wichtige Emotionen, die wir entschlüsseln müssen, sonst setzen wir die geistige Gesundheit, das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen unserer Kinder aufs Spiel.
Ein wichtiger Aufruf für einen konstruktiven und positiven Umgang mit einem wichtigen Gefühl.
Verlag: FISCHER Taschenbuch; Auflage: 3 (26. Juni 2014)
Preis: Gebundene Ausgabe 8,99 EUR, Taschenbuch 9,99 EUR, Kindle-Edition 9,99 EUR
Autor: Jesper Juul wurde am 18. April 1948 in Dänemark geboren, wo er mit seinen Eltern und seinem Bruder auch seine Kindheit und Jugend verbrachte. Er beschäftigte sich u. a. mit Badminton und Vogelstudien und war als Pfadfinder unterwegs. Nach der Schule verließ er das Land und befuhr als Schiffskoch den Fernen Osten, arbeitete als Tellerwäscher und Barmann. Mit 18 Jahren nahm er ein Geschichts- und Religionsstudium auf, fühlte sich aber auf Dauer mit praktischer Arbeit wohler, sodass er die akademische Karriere aufgab. Stattdessen widmete er sich nun der Jugend- und Elternarbeit und gründete das Kempler Institut für Familientherapie. Während und nach dem Bosnienkrieg engagierte er sich für Flüchtlinge und Kriegsveteranen. Leider ist Jesper Juul am 25. Juli 2019 gestorben.